k+a 2019.3 : Kinos | Cinémas | Cinema

k+a 2019.3 : Kinos | Cinémas | Cinema

«Kinos sind sakrale, magische Orte. Sie sind es nicht nur wegen der Architektur, sondern auch, weil sie Erlösung vom Alltag versprechen», sagt der Thuner Kinobesitzer Alain Marti. Und in der Tat wurde das Massenmedium Film – vermutlich weil es Vergnügen und Zerstreuung brachte – in vielen Orten der Schweiz nicht mit offenen Armen empfangen. Das neue Medium geriet immer wieder in Konflikt mit der bürgerlichen Hochkultur. Im Zusammenhang mit Werbung und Leuchtreklamen war schon früh der Vorwurf zu hören, die Kinos förderten einen «barbarischen Amerikanismus ». Diese Art von Kulturkampf zeigte sich auch beim Anliegen des stadtbekannten Basler Pfarrers Gustav Benz zu Beginn des Ersten Weltkriegs: Er forderte die Regierung auf, aus «sittlichen» Gründen umgehend alle Kinos zu schliessen – wobei er zwar auf offene Ohren stiess, das Vorhaben aber wegen der Gewerbefreiheit nicht umgesetzt werden konnte. 1931 verfügte Basel dann bereits über 16 Lichtspieltheater mit rund 2,5 Millionen verkauften Eintritten pro Jahr. Bei einer Stadtbevölkerung von 150 000 Einwohnern ein wahrhaftiger Kinoboom. Tempi passati. Heute verkaufen die Kinos in der Stadt noch knapp 600 000 Eintritte – Tendenz weiterhin sinkend.

Mit ihrer Architektursprache und den markanten Fassaden haben Kinos viele Innenstädte der Schweiz geprägt – seit über vier Jahrzehnten befinden sie sich aber auf dem Rückzug und verstecken sich hinter Passagen und Kellereingängen oder sind in Multiplexkinos am Stadtrand zuhause. Unsere aktuelle Ausgabe zeigt, wie sich die mit dem Aufkommen des Mediums Film einhergehende Gebäudetypologie entwickelt hat, und illustriert dies mit verschiedensten Beispielen aus Stadt und Land. Erfreulich ist, dass in Genf mit der soeben erfolgten Rettung des Kinos «Le Plaza» ein wertvolles Gebäude der 1950er Jahre erhalten bleibt – das Bewusstsein für den Wert der Kinoarchitektur ist also da.

Essay | Essai | Saggio
Tchaya Bloesch et Jennifer Huynh
Silence, moteur, action !
Le cinéma, entre art et architecture

Zusammenfassung
Achtung, Kamera läuft!
Das Kino zwischen Kunst und Architektur Die Geschichte des Schweizer Films ist eng mit der Entwicklung der Vorführstätten verbunden. Ab Ende des 19. Jahrhunderts fanden die öffentlichen kinematographischen Vorführungen in unterschiedlichsten Räumen statt. Zu Beginn waren dies Orte, die nicht für die Projektion von Filmen geschaffen worden waren. Später nahmen sich Jahrmarkthändler der Verbreitung der siebten Kunst an. Erst gegen Ende der 1920er Jahre begann mit der Erschaffung speziell für das Kino vorgesehener Räumlichkeiten eine Entwicklung, die schliesslich im Bau von prunkvollen Filmpalästen mit über tausend Sitzplätzen mündete. In den 1960er Jahren geriet die Kinobranche als Folge des Auftretens neuer Verbreitungssysteme wie des Fernsehens in eine Krise. Um zu überleben, begannen die Betreiber vielfältigere Programme anzubieten. Schliesslich waren es die Multiplexkinos, welche die Existenz vieler unabhängiger Betreiber von Kinosälen in Frage stellten. Diese sind heute gezwungen, in soziologischer, wirtschaftlicher, technologischer und architektonischer Hinsicht innovative Strategien zu entwickeln, um gegen die Konkurrenz bestehen zu können.

Dossier 1
Roland Frischknecht
Spiel mir das Lied vom Kino
Streifzug durch die historische Kinolandschaft der Stadt Zürich

Zusammenfassung
Die Anfänge des Kinos in der Stadt Zürich gehen auf das Jahr 1897 zurück. Ab 1907 wird das Kino in bestehenden Altliegenschaften sesshaft. Die rigiden Moralvorstellungen der Belle Epoque haben eine starke Reglementierung des Kinogewerbes zur Folge. Trotzdem kann sich ab 1911 eine eigenständige Typologie des Kinos entwickeln, die sich in ihrer Architektursprache vom neuen Massenmedium des Films inspirieren liess und das Stadtbild bis heute bereichert. Auf Basis einer kommerziellen Nutzungsmischung aus Gastronomie, Kino und Büros entsteht 1912 der erste grossstädtische Filmpalast. Der rare Bautyp eines frei stehenden Kinozweckbaus findet sich in einem Hinterhof in Oerlikon. In den 1920er Jahren wird erstmals die Stromlinienform in die Kinoarchitektur übertragen. Im Kinoboom der Nachkriegszeit manifestiert sich die gesellschaftliche Bedeutung des Films als kulturelle Ausdruckform. Die für eine Filmvorstellung benötigten technischen Ausstattungselemente zeigen sich aussen an der architektonischen Form.

Dossier 2
Simon Baur
Dinosaurier des Kinos
Die verschwundene Architektur der Kinopaläste

Zusammenfassung
Die Geschichte der Kinofassaden ist kurz, sie umfasst etwas mehr als ein halbes Jahrhundert und verläuft parallel zur technischen Entwicklung der Kinos, der Werbung und ihrer Kommerzialisierung, sowie neuer technischer Errungenschaften, wie der Entwicklung des Neonlichts. Mit der Entwicklung des Tonfilms Anfang der 1930er Jahre verändert sich auch die Ästhetik der Bauten hin zu neugebauten Kinopalästen mit auffälligen Leuchtschriften auf grossen Fassadenflächen. Später zeigte sich jede architektonische Epoche auch auf den jeweiligen Kinofassaden, von der Arts-and-Crafts-Bewegung über die faschistische Architektur bis hin zu den Einflüssen von Venturis Learning from Las Vegas. Die Kurzlebigkeit der Kinotypologie könnte auch damit zusammenhängen, dass jede Filmmode, jede Filmgattung, ja sogar einzelne Filme Einfluss auf die Architektur des Spielorts hatten. Heute ist das Pompöse von einst fast ganz verschwunden, der Ort des Kinos ist heute kein spezifischer mehr, der Kinosaal könnte überall domiziliert sein, und repräsentative Elemente sucht man meistens vergeblich.

Dossier 3
Bruno Corthésy
Le cinéma Capitole à Lausanne
Une des plus grandes salles de Suisse encore en activité

Zuammenfassung
Das Kino Capitole in Lausanne
Das im Jahr 1928 vom Architekten Charles Thévenaz erbaute Kino Capitole in Lausanne galt bei seiner Eröffnung als einer der schönsten und grössten Kinosäle der Schweiz. Der Bau gehört einer neuen Strömung der Kinoarchitektur an, die zu Beginn der 1930er Jahre versuchte, diesen Aufführungsstätten mit viel Luxus und Komfort zu mehr Prestige zu verhelfen. Das Kino wurde 1959 vom Architekten Gérald Pauchard vollständig renoviert, um gegen die zunehmende Konkurrenz durch das Fernsehen bestehen zu können. 2010 wurde das bemerkenswert gut erhaltene Kino von der Stadt Lausanne erworben, die beabsichtigt, darin Vorführsäle der Cinémathèque suisse einzurichten.

Dossier 4
Franz Graf
Uno scrigno rude e sofisticato per un’architettura innovativa
Il Cinema-Teatro Blenio di Giampiero Mina, 1956-1958

Zusammenfassung
Ein ebenso derbes wie raffiniertes Schmuckkästchen für eine innovative Bauaufgabe: das Cinema-Teatro Blenio von Giampiero Mina, 1956–1958
Ein innovatives Bauprogramm wird zum Experimentierfeld einer neuen Architektursprache für das Bauen in den Alpentälern, die sich von der Tradition aufs deutlichste absetzt: Das Cinema-Teatro Blenio in Corzoneso, einer kleinen Ortschaft im mittleren Bleniotal, wurde von Giampiero Mina zwischen 1956 und 1958 projektiert und ausgeführt. Es war anfänglich als Pfarreizentrum mit einem zugehörigen Kindergarten gedacht, das im Lauf seines Gebrauchs freilich zu einem Veranstaltungslokal und Kinosaal wurde. Trotz extremer Mittelknappheit und mit dem Einsatz wiederverwendeter Materialien gelang es dem Luganeser Architekten, in einer originellen und gleichzeitig in jedem Detail kontrollierten Synthese die Anregungen der beiden Meister der organischen Architektur zu verarbeiten – jene von Aalto und Wright. Seit mehr als einem halben Jahrhundert leistet das Gebäude hervorragende Dienste als gesellschaftlicher und kultureller Treffpunkt des ganzen Tals. Es gilt mittlerweile zu Recht als ein Meilenstein für die Erneuerung der Tessiner Architektur in der Nachkriegszeit.

Dossier 5
Laetitia Zenklusen
Zürcher Landkinos
Zeugen aus der Boomzeit des Kinos, von denen einige bis heute überleben

Zusammenfassung
Kinoarchitektur folgt keiner eindeutigen Gebäudetypologie, sondern zeigt vielfältige Ausprägungen zeittypischer Baustile und örtlicher Bedürfnisse. Merkmale der Kinobauten sind: der Saal, der Eingangsbereich und die Werbeflächen (Reklame-Leuchtschrift, Schaufenster). In Zürich wurden ländliche Kinobauten im Unterschied zu den städtischen von lokalen Baumeistern und Architekten errichtet. Man baute Landkinos häufig als freistehende Gebäude, gliederte sie an ein Nachbargebäude an oder integrierte sie in einen gemischt genutzten Mehrzweckbau. «Gebaute Reklame» und die künstlerische Gestaltung von Kinosälen spielten auf dem Land kaum eine Rolle. Die ab 1920 errichteten Zürcher Landkinos adaptierten die herrschenden Baustile (Expressionismus, Neues Bauen, gemässigte Moderne), doch oberflächlich und ohne gestalterischen Anspruch. Diese Allgemeinarchitektur blieb für den Zürcher Landkinobau bis in die späten 1950er Jahre prägend. 1963, am Ende des Kinobaubooms, setzte sich mit dem Kino «Claudia» in Kloten ernsthafte, gestaltete Architektur mit städtebaulicher Wirkung durch.

Dossier 6
Tarramo Broennimann et Pauline Nerfin
Cinéma Le Plaza : Vanishing Point ?

Zusammenfassung
Cinéma Le Plaza
: Vanishing Point?
Im Verlauf der letzten Monate verdichteten sich in Genf die Hinweise, wonach die Ungewissheit um die Zukunft des vom Architekten Marc-Joseph Saugey zu Beginn der 1950er Jahre entworfenen Kinos Le Plaza ein baldiges Ende finden könnte. Das Schicksal des grössten und für seine Zeit richtungsweisenden Genfer Kinos, das den American Way of Life widerspiegelt, schien besiegelt, denn nach Ansicht des Eigentümers sollte das zu wenig rentable Objekt abgerissen werden. Seit Erteilung der Abbruchgenehmigung im Jahr 2015 hatten sich viele Stimmen gegen diesen drohenden unersetzlichen Verlust erhoben. Trotz aller Bemühungen schien der Abbruch unmittelbar bevorzustehen. Nun ist überraschend und unverhofft die dramatische Wende zum Happy End doch noch eingetreten.

KdS | MAH | MAS
Hans-Rudolf Meier, Dorothea Schwinn Schürmann, Marco Bernasconi, Stefan Hess, Carola Jäggi, Anne Nagel und Ferdinand Pajor
Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt X
Das Basler Münster

KdS | MAH | MAS
Edith Hunziker, Susanne Ritter-Lutz
Die Kunstdenkmäler des Kantons Aargau X
Der Bezirk Laufenburg

Aktuell | Actuel | Attuale
Nicole Bauermeister, Ferdinand Pajor und Nicole Pfister Fetz, im Namen des Vorstands und der Direktion
Billet de la direction
Die Kunstdenkmäler der Schweiz: nicht nur digital, sondern auch intelligent

Publikationen der GSK | Publications de la SHAS | Pubblicazioni della SSAS
Das Schwimm- und Sonnenbad in Adelboden
Der neue Kunstführer widmet sich dem soeben denkmalgerecht sanierten Freibad im Berner Oberland. Gleichzeitig gibt er Einblick in das soziohistorische Umfeld jener Zeit und würdigt das eindrucksvolle Werk des Ingenieurs Beda Hefti (1897–1981).

Die Europäischen Tage des Denkmals 2019 bekennen Farbe
Die Europäischen Tage des Denkmals in der Schweiz setzen am 14./15. September 2019 den Pinsel an. Unter dem Motto «Farben -Couleurs – Colori – Colurs» laden sie dazu ein, das baukulturelle Erbe der Schweiz in all seinen Farben und Formen neu kennenzulernen und über die farbliche Gestaltung des öffentlichen Raumes zu diskutieren.

Interview | Interview | Intervista
Michael Leuenberger
«Bauen ist Kultur und schafft Raum für Kultur»

Im Januar 2018 trafen sich die Kulturministerinnen und Kulturminister Europas auf Einladung von Bundespräsident Alain Berset in Davos und verabschiedeten die Erklärung von Davos, die Wege aufzeigen soll, wie in Europa eine hohe Baukultur politisch und strategisch verankert werden kann. Im Rahmen der Kulturbotschaft 2016–2020 hatte der Bund beschlossen, eine Strategie zur Baukultur zu erarbeiten, die aktuell zur informellen Anhörung aufliegt. Auch die Architektenverbände engagieren sich stark für das Vorhaben. Am 4./5. November 2019 findet in Genf die internationale Konferenz «Getting the measure of Baukultur» statt. Kunst + Architektur in der Schweiz hat nachgefragt, was es damit auf sich hat.

Oliver Martin ist Leiter der Sektion Heimatschutz und Denkmalpflege im Bundesamt für Kultur (BAK). In seiner Tätigkeit setzt er sich auf nationaler und internationaler Ebene für eine hohe Baukultur ein.

Auslandreisen | Voyages à l’étranger | Viaggi all’estero

  • Kunst in Warschau, Lodz und Krakau
    Jahreswechsel in der herrlichsten Stadt Polens
  • 200 Jahre Prado!
    Auf den Spuren El Grecos in Madrid und Toledo

Impressum | Impressum | Colophon

 

Erhältlich im Webshop der GSK.

 

Preis CHF 25.00
GSK-Mitgliederpreis CHF 17.00
Abbildungen 92
Seitenzahl 72
Autoren Diverse
Artikelnummer K+A-2019.3
Inhaltssprache Deutsch, Französisch, Italienisch
Erscheinungsdatum
ISBN 978-3-03797-595-4
Bandnummer 70. Jahrgang, 3.2019
Verlag Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK