k+a 2015.4: «Kunst im Bahnhof»

Editorial
Seit fast 170 Jahren hat sich in der Schweiz ein Bahnnetz entwickelt, das mit seiner Infrastruktur und seinen Bauten das Land prägt. Die Bahn und die Schweiz: Das eine ist ohne das andere kaum zu denken. Viele der Anfang des 20. Jahrhunderts erbauten Bahnhöfe zeugen als Tempel der Modernität von der Entwicklung der Städte. Gleichzeitig werden Wartesäle, Schalterhallen und Bahnhofbuffets allerorten mit Bildern und Wandgemälden ausgeschmückt, die meist idealisierte Schweizer Landschaften zeigen. Diese «touristischen Ansichten », die von staatlichen und privaten Auftraggebern bestellt wurden, zeugen von einem prägenden Genre der Kunst im Bahnhof. Sie kontrastieren mit der damaligen Realität des Landes, das sich immer stärker industrialisierte. Und sie waren schon vor einem Jahrhundert das Resultat einer Kontroverse rund um das Thema «Reklameflut». So spannt sich der Bogen ins 21. Jahrhundert: Die Frage, wie viel Werbung sein darf, ohne dass dauerhaft eine zweite Haut über die bestehende Architektur gelegt wird, ist durchaus berechtigt und beschäftigt die Verantwortlichen der SBB auch heute.

Unsere Autorinnen und Autoren haben überdies zeitgenössische Kunst im Bahnland Schweiz gesucht und sind da und dort fündig geworden. Giovanni Menghini, oberster Denkmalpfleger bei den SBB, wünscht sich im Interview mit k + a durchaus mehr davon. Und er erzählt uns im Gespräch, vor welch grossen Herausforderungen seine Fachstelle für Denkmalpflege im Bahnland Schweiz steht.

 

Essay | Essai | Saggio
Richard Buser
«Je ne connais pas vos petites minutes»
Plädoyer für die Wartsäle

Der Wartsaal gehört seit jeher zur räumlichen Grundausstattung von Bahnhöfen. Doch die Wartsäle sind durch die zunehmende Kommerzialisierung der Bahnhöfe vom Aussterben bedroht. Dabei bieten sie oft eine wohltuende Gelegenheit zur ruhigen und konsumfreien Einkehr inmitten des geschäftigen Treibens an den Bahnhöfen. Auch Begegnungen mit Kunst sind möglich – etwa im Wartsaal des Bahnhofs Biel: Philippe Roberts vierteiliger Wandgemälde-Zyklus von 1923 lädt uns ein, über das Thema Zeit nachzusinnen.
Dossier 1

Sandra Nicolodi, Philia Heydrich
Neue alte Farbenpracht im Bahnhof Basel
Restaurierung wichtiger Zeugen der Schweizer Tourismusförderung

Grossflächige Landschaftsgemälde zieren seit den 1920er Jahren die Schalterhalle des Bahnhofs Basel SBB. Die Bilder sind wichtige Zeugen der damaligen künstlerisch gestalteten Werbung und Tourismusförderung. Sie gehören zu den letzten Repräsentanten eines einst prägenden Genres der Schweizer Bahnhofskunst. Mitunter sind sie das Resultat einer Auseinandersetzung rund um die «Reklameflut» in den Bahnhofshallen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Frühjahr 2015 wurden die Bilder in Basel begutachtet, gereinigt und restauriert. Seit dem letzten Bahnhofsumbau war vor allem das grösste der Gemälde vermehrt Durchzug ausgesetzt. Der Vierwaldtstättersee wies grossen Farbverlust und starke Verschmutzungen auf. Die umfassenden Restaurierungsarbeiten gaben den Bildern ihre farbig-intensive Leuchtkraft zurück und machen sie auch heute zum Mittelpunkt der Bahnhofshalle Basel.

Dossier 2

Joëlle Neuenschwander Feihl
Le buffet de la gare de Lausanne
Témoin centenaire de la grande époque des restaurants ferroviaires

Zusammenfassung
Das Buffet von Lausanne: ein hundertjähriger Zeuge des grossen Zeitalters der Bahnhofrestaurants
Das Buffet 1. und 2. Klasse des Bahnhofs Lausanne besitzt eine grösstenteils originale Ausstattung und Ausschmückung von hoher Qualität aus der Zeit seiner Eröffnung im Jahr 1916. Es stellte die letzte Etappe des ab 1911 neu erbauten monumentalen Gebäudes dar, das nach den Plänen der Architekten Monod & Laverrière und Taillens & Dubois im Stil des Vertikalismus errichtet wurde. Die gemalten und skulptierten Elemente, namentlich jene aus Holz, bedienen sich einer vegetabil inspirierten Ornamentik, die im gesamten Bauwerk eingesetzt wurde. Die spektakulärste Ausschmückung des Buffets besteht aus gemalten Tafeln, auf denen die wichtigsten von Lausanne aus erreichbaren Destinationen dargestellt sind. Obgleich Bilder dieser Art mit werblichem Hintergrund am Ende des 19. Jahrhunderts und bis gegen 1950 sehr häufig anzutreffen waren, sind nur wenige von ihnen erhalten geblieben. Nach der nächstes Jahr beginnenden Restaurierung des Buffets werden die Gemälde wieder in altem Glanz erstrahlen.

Interview | Interview | Intervista
Michael Leuenberger, Zara Tiefert
Zwischen Identität und neuen Ansprüchen

Giovanni Menghini erläutert die Herausforderungen, mit denen er als Leiter der Fachstelle für Denkmalpflege bei den SBB konfrontiert ist. Ein Gespräch über Inventare, Kunst am Bau und Umnutzungen – und warum er es bedauert, dass es keine Bahnhofvorstände mehr gibt.


Dossier 3

Alexandra Ecclesia
Entre propagande touristique et sentiment patriotique
Le paysage dans les peintures murales des gares CFF

Zusammenfassung
Schweizer Landschaften und touristische Ansichten in den Bahnhöfen der SBB
Die Anfang des 20. Jahrhunderts erbauten Bahnhöfe stellten für die Architekten eine neue Herausforderung dar und zeugen als Tempel der Modernität vom Fortschritt und von der Entwicklung unserer Städte. Zur Ausschmückung von Schalterhallen, Wartsälen, Buffets und Zugängen zu den Bahnsteigen bestellten private Betriebe und staatliche Akteure Bilder und Wandgemälde. Drei Viertel dieser Werke stellen idealisierte Schweizer Landschaften dar, die mit der Realität eines Landes kontrastieren, das immer mehr von der Industrialisierung geprägt wird. Die in den 1970er Jahren von Christine Kyburz inventarisierten Werke wurden bis in die jüngste Vergangenheit im breiteren Kontext öffentlicher Aufträge der Eidgenossenschaft untersucht. Unser Beitrag befasst sich im Besonderen mit der Bedeutung dieser Schweizer Landschaften und touristischen Ansichten, die in den Bahnhöfen von Biel, Chiasso und Neuenburg dargestellt sind. Sie wurden in der Zwischenkriegszeit im Rahmen einer «Hilfsaktion » der Eidgenossenschaft bestellt und dienen einerseits Werbezwecken, während sie andererseits in kultureller Hinsicht Ausdruck der nationalen Gemeinschaft sind.
Dossier 4

Olivia Strasser
Zwischen den Zügen – Kunst, Kommerz und Kommunikation
Von den Wandbildern der 1920er Jahre zum Werbespot von heute

Seit den Anfängen der Bahn erfüllt Werbung auch eine ästhetische Funktion. Der Bahnhof ist ein komplexes System, das ganzheitlich betrachtet werden muss. Gute Lösungen entstehen in sinnvoller Zusammenarbeit aller Anspruchsgruppen – sei es aus den Bereichen Infrastruktur, Immobilien, Werbung oder Denkmalpflege. Im Zentrum der Werbung, aber auch eines jeden Bahnhofs, steht der Mensch – als Reisender und als Kunde, der als Konsument gleichzeitig eine wichtige Einnahmequelle für die SBB und Dritte darstellt. Geschickt platzierte und ästhetisch hochwertige Werbung und attraktive Ladenflächen verwachsen mit den für Sicherheit und Orientierung im Bahnhof notwendigen Informationen. Sie bieten Dienstleistungen und machen den Aufenthalt im Bahnhof attraktiver. Ein schweizweites Konzept der Bahnhofnutzung und -bespielung, das auf aktuelle Bedürfnisse und Entwicklungen eingeht, ist wünschenswert, solange es Raum lässt für eine örtlich individualisierte Ausgestaltung in unterschiedlichen Bauwerken, wie beispielsweise einem historischen Bahnhof mit Bildschmuck (Basel), Monumentalarchitektur (Zürich) oder bei neuen Architekturformen (Zürich Stadelhofen, Zug, Luzern).
Dossier 5

Maddalena Disch
L’Uovo filosofico di Mario Merz

Zusammenfassung
Das Philosophische Ei von Mario Merz
Die Installation von Mario Merz von 1992 im Hauptbahnhof Zürich ging aus einem Wettbewerb hervor, der vom Kanton Zürich und von den Schweizerischen Bundesbahnen veranstaltet worden war. Das Werk mit dem Titel Das Philosophische Ei besteht aus einer roten Neonspirale, die sich über die gesamte Breite der Glaswand der Westfassade der Bahnhofshalle abwickelt. In der Spirale sind fünf Vögel und ein Hirsch aus Airex-Schaumstoff angeordnet, wobei jedes Tier eine Zahl aus hellblauem Neon trägt. Die Spirale und die Fibonacci-Zahlen sind zwei zentrale Motive der Poetik von Merz und stellen organische Bilder von Wachstum und Lebensentwicklung dar. Der Künstler benützt sie als Mittel, um die Realität der Welt nachzuempfi nden. Gleichzeitig sind sie aber auch eine Geste zur Beschleunigung der Gedanken und zur Rhythmisierung der Imagination. Der aus der Terminologie der Alchemie abgeleitete Werktitel kann über Merz’ Konzept des «Gros sen Kochtopfs» verstanden werden, der den künstlerischen Prozess als Energie situation auf konstantem Siedepunkt interpretiert.
Dossier 6
Simon Baur
Zugfahrt zu zeitgenössischer Kunst
Eine nichtrepräsentative Entdeckungsreise

Die Schweizerischen Bundesbahnen sind nicht bekannt dafür, dass sie sich für das aktuelle Kunstschaffen in den Bahnhöfen und auf den Trassees einsetzen. Entsprechend mager sind die Beispiele zeitgenössischer Kunst in ihren Bauten. Doch wer sucht, der findet: In Basel, Zürich und Zug finden sich Beispiele von Niki de Saint Phalle, Dieter Meier und James Turrell. Sie verdeutlichen, dass zwar ein Gesamtkonzept fehlt, doch Anfänge bereits gemacht wurden. Ein weiteres und sehr kontroverses Phänomen sind die Mauern und Wände entlang der Bahnlinien, die seit Jahren von der internationalen Sprayerszene bearbeitet werden. Zahlreiche Pendler und Reisende erleben den bunten Auftritt durchaus als Bereicherung. Und ein Klassiker, die Wandarbeit des englischen Pop-Art-Künstlers Allen Jones, die während Jahrzehnten über zwei Hausfassaden verlief und der Einfahrt in den Bahnhof Basel eine besondere Qualität verlieh, ist leider seit einigen Jahren wieder verschwunden – zugunsten trivialer Werbung.
Fotoessay | Essai photographique | Saggio fotografico
Bruno Kirchgraber (geb. 1930) lebt in Zürich. Er war seit den späten 1950er Jahren als Fotograf tätig, unter anderem für die von den SBB herausgegebene Revue Schweiz. In diesem Zusammenhang entstanden Fotografien von Menschen an Bahnhöfen, die eine heute schon recht fremde Welt des Reisens einfangen. Publikationen: Zürichsee (1963), St. Gallen 1900–1914 (1979), Vom Leben träumen. Fotografien aus der Schweiz der 1960er Jahre (2005).
Aktuell | Actuel | Attuale
Dr. Benno Schubiger, Präsident der GSK
Billet du président
«Suisse Mania»
Interview | Interview | Intervista
Manuel Cecilia
«Heimatklänge – Walliser leben eine gewisse Nonkonformität»
Die GSK publiziert 2015 zwei Walliser Kunstdenkmälerbände, einerseits den Band KdS VS IV «Der Bezirk Brig» und andererseits MAH VS VII «Le district de Monthey». Gleichzeitig feiert der Kanton seinen 200-jährigen Beitritt zur Eidgenossenschaft. Grund genug, die wohl – zumindest östlich des Pfynwalds – bekannteste Walliserin zu ihrem Heimatbegriff zu befragen.

Impressum | Impressum | Colophon

 Preis: CHF 25.00
Preis für GSK Mitglieder: CHF 20.00
Abbildungen: 106
Seitenzahl: 80
Reihe: Kunst + Architektur
Orte / Gemeinden: Schweiz / Suisse / Svizzera
Autoren: Diverse
Artikelnummer: K+A 2015.4
Inhaltssprache: Deutsch, Französisch, Italienisch
Erscheinungsdatum: 08.12.2015
ISBN: 978-3-03797-188-8
Verlag: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte
Bestellungen: über Webshop (www.gsk.ch) oder Buchhandel