Das neue k+a lobt das Dekor

Ein «Lob des Dekors» auszubringen, mag gewagt erscheinen – berief sich doch die architektonische Moderne auf Funktionalität und Rationalität oder definierte den Bau gar nur noch als «Maschine». Dekoratives Ornament wurde insgesamt als überflüssig abgetan und oft gänzlich verbannt. Schmückende Elemente und konstruktive Bauteile, die über ihre funktionsbedingte Form hinaus gestaltet wurden, konnten in Zeiten der nüchternen Architektur nicht mehr Ausdruck des Zeitgeists sein. Das polemische Potenzial dieser Debatten hat nachgelassen und gleichzeitig lohnt sich der neugierige Blick auf die beeindruckenden Beispiele des gebauten Kulturerbes in der Schweiz. Dazu gehört auch eine Annäherung an die Möglichkeiten des heutigen, verspielten Umgangs mit Dekors. Unser Frühlingsheft präsentiert verschiedene Bauaufgaben, den dekorativen Reichtum in privaten Villen, repräsentativen Schlössern und Landsitzen, Unternehmervillen oder Wohnbauten von Gewerbetreibenden. Sie alle zeigen eine aussergewöhnliche Vielfalt an gestalterischen und künstlerischen Elementen und laden ein zur befruchtenden Auseinandersetzung mit ihren kommunikativen Funktionen, mit dem Selbstverständnis ihrer Auftraggeber und mit ihrem ästhetischen Wert als architektonisches Statussymbol.

Dossier 1
Georges Herzog
Die langen Strahlen der königlichen Sonne – Ein Hauch von Pariser Noblesse in der Berner Landschaft
Die erstaunlich unprovinzielle Prachtentfaltung der Louis-XIII-Interieurs im Neuen Schloss Oberdiessbach

Zusammenfassung
In den Jahren nach 1666 liess sich Albrecht von Wattenwyl, der Herrschaftsherr von Oberdiessbach, durch Neuenburger Werkleute einen für Berner Verhältnisse Aufsehen erregenden Landsitz nach französischem Muster errichten. Vollständig in die Landschaft integriert und mit aufwendigen Gartenanlagen versehen, nahm das Schloss viele Prinzipien der in Bern zu Beginn des 18. Jahrhunderts einsetzenden Breitenentwicklung des barocken Landsitzbaus voraus. Doch nicht nur die architektonische Hülle, auch die Ausstattung ist von herausragender Geschlossenheit und Qualität. Überall in dem durch ein monumentales Treppenhaus geteilten Schloss haben sich repräsentative Räume weitgehend in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Prächtige, elfenbeinfarben gefasste und mit Gold verzierte Kassettendecken in immer wieder anderen Erscheinungsformen, formvollendete Pilastertäfer, kostbare Wandbespannungen – entweder als grossflächige Tapisserien oder farbig bemalte und vergoldete flämische Ledertapeten – und nicht zuletzt der ungeahnte Reichtum des malerischen Schmucks in Form von Decken- und Täfermalereien sowie von ins Täfer eingebauten Leinwandbildern von Albrecht Kauw und seiner Werkstatt, erheben das Schloss zu einem ausstattungsgeschichtlichen Meisterwerk. Der Aufsatz versucht zeigt, wie stark die dekorativen Ausstattungen nicht zuletzt durch die Lebensumstände und den Erlebnishorizont der beiden Auftraggeber Albrecht und Niklaus von Wattenwyl beeinflusst sind.

Dossier 2
Helen Bieri Thomson
Entre restitution et évocation
Les nouvelles salles historiques du château de Prangins
 
Zusammenfassung
Zwischen Wiederherstellung und Veranschaulichung
Fünfzehn Jahre nachdem das Schloss Prangins der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, lässt eine Reihe völlig neu eingerichteter historischer Räume das Umfeld und den Esprit der damaligen Zeit wieder aufleben. Auf der Grundlage von zwei für die Geschichte des Bauwerks entscheidenden Archivdokumenten und dank der reichhaltigen Bestände des Schweizerischen Nationalmuseums ist es dem mit dem Projekt beauftragten Team gelungen, die Empfangs- räume dieses herrschaftlichen Wohnsitzes des Pays de Vaud im Glanz des ausgehenden 18. Jahrhunderts neu aufleben zu lassen. Diesem Vorgehen liegen zwei Absichten zugrunde: Während einerseits die historische Substanz des Baudenkmals zur Geltung gebracht wird, beherbergen die Räume andererseits eine kulturhistorische Ausstellung. Der Ansatz liegt auf halbem Wege zwischen der Wiederherstellung (Bemalung der Holztäfelungen, Wände mit falschem Marmor, Textilien) und der Veranschaulichung (Auswahl des Mobiliars und charakteristischer Gegenstände des täglichen Lebens auf Basis eines Güterinventars). Damit soll die ursprüngliche Repräsentationsfunktion des Schlosses von Prangins illustriert werden, um gleichzeitig in situ die kulturellen und sozialen Gepflogenheiten des Ancien Régime beleuchten zu können.

Dossier 3
Gilles Prod’hom
Un décor Louis XVI à Neuchâtel
Le salon de la maison du Pommier 7 par Pierre-Abraham Guignard
 
Zusammenfassung
Eine Louis-XVI-Ausstattung in Neuenburg
Das ehemalige Haus der Familie de Meuron an der Rue du Pommier 7 in Neuenburg hat einen Teil seiner Innenausstattung aus dem 18. Jahrhundert bewahrt. Der reich ausgeschmückte Salon aus der Zeit von 1778 bis 1780 besteht aus einem vollständigen und qualitätsvollen Ensemble im Stil Louis XVI. Der mit originalem Mobiliar ausgestattete Raum wird von einer mit Stuck versehenen Decke überspannt und beeindruckt durch eine bemerkenswerte Holztäfelung mit Flachreliefschnitzereien, deren symbolische Motive mit Gold zusätzlich zur Geltung gebracht werden. Der im Staatsarchiv von Neuenburg aufbewahrte Briefwechsel zwischen dem Auftraggeber und seinem Handwerksmeister dokumentiert die Entstehung dieser Ausstattung und gewährt Einblick in die Laufbahn ihres noch wenig bekannten Schöpfers, des Waadtländer Tischlermeisters Pierre-Abraham Guignard.

Dossier 4
Maria Fazioli Foletti
Il gusto per l’ornato
Breve storia di un decoro neoclassico nel castello della famiglia Trefogli a Torricella
 
Zusammenfassung
Die Liebe zum Dekor
Umgeben von einem grossen Park und üppigen Reben befindet sich weit oben am Hang des Tals, das nach Lugano führt, ein Schlösschen. Wir sind in Torricella, wo die Familie Trefogli ihren Wohnsitz hat. Generationen von Künstlern wurden hier geboren und alle haben zur Erweiterung des Familiensitzes beigetragen, der ursprünglich ein stattliches Bauernhaus war. Im Lauf der Jahrhunderte wurde das Gebäude vergrössert. Heute ist es ein kleines Schloss, das die Ansicht des Dorfs oberhalb der Kirche prägt. Der vorliegende Beitrag legt den Schwerpunkt auf die klassizistische Ausstattung im ursprünglichen Gebäudeteil. Sie ist das Werk von Marco Antonio Trefogli (1789-1854), Dekorationsmaler im Dienst von Felice Giani und Pelagio Palagi. Zwei kleine, nebeneinander liegende Räume und ein Balkon sind mit Malereien ausgestattet, die ausserordentlich sorgfältig und nach den zu jener Zeit gängigen Mustern ausgeführt sind. Da sich der Zeitgeschmack änderte, sah sich Trefogli gezwungen, seine Tätigkeit aufzugeben und in sein Geburtshaus zurückzukehren. Er beschloss hier die Dekorationen anzubringen, die er bisher in den grossen Salons der reichen Häuser der Adligen ausgeführt hatte. Die Malereien sind Zeugnis des Könnens und des Geschmacks des Künstlers und ergänzen das Bild seines Werks in Italien wie im Kanton Tessin.

Essay | Essai | Saggio
Marie Theres Stauffer
Glanzvolle Raumfolgen
Die Rolle des Spiegels in französischen Interieurs des 17. und 18. Jahrhunderts

Zusammenfassung
In der Frühen Neuzeit sind Spiegel luxuriöse und gesuchte Elemente der Innendekoration. Ab dem 17. Jahrhundert werden sie in der Ausstattung aristokratischer Prunkappartements immer bedeutender. Heute noch erhaltene Spiegelkabinette und galerien deuten darauf hin, dass um 1650 in und um Paris reflektierende Glasflächen erstmals dauerhaft in Wandflächen integriert wurden. Zugleich führte die hohe Nachfrage nach Spiegeln in Frankreich zur Gründung von lokalen Werkstätten, nachdem venezianische Glashütten lange den Markt dominiert hatten. Technische Innovationen in der Herstellung von Spiegeln und ihre Verwendung in Interieurs stehen also in engem Zusammenhang. Der Hintergrund der französischen «Spiegelmode» besteht einerseits darin, dass dortige Architekten sich der Innenausstattung herrschaftlicher Häuser zuwandten und einheitliche Entwürfe für ein ganzes Gebäude vorlegten. Andererseits setzte eine prosperierende Oberschicht, die am Lebensstil des Monarchen orientiert war, Spiegel und den Spiegelraum als symbolische Zeichen eines gesellschaftlichen Status ein, der Luxuskonsum erforderte und Distinktion sichtbar werden liess.

Dossier 5
Marc Philip Seidel
Antonio De Gradas Dekoration privater Villen um 1900
Gesamtkunstwerke zwischen Jugendstil und Historismus

Zusammenfassung
Die beiden 1899 erbauten Zürcher Villen Dem Schönen und Maria zeigen beispielhaft das gesteigerte Repräsentationsbedürfnis des gehobenen Bürgertums der Jahrhundertwende. Die Aristokratenvillen zwischen Historismus und Jugendstil bergen ein künstlerisches Konzept, das die Objekte als eklektisches Gesamtkunstwerk erscheinen lässt und miteinander in Verbindung bringt. Die Dekorationsmalereien von Antonio De Grada (1858-1938) als chronologisch letzter Handgriff bei der Erstellung der neuen prunkvollen Gebäude, bilden den Schlüssel für das Verständnis des vielschichtigen ikonographischen Programms. Die lateinischen Sinnsprüche, die mythologischen Darstellungen sowie die figurativen und ornamentalen Elemente der Flora und Fauna lassen sich jeweils einem übergeordneten Thema zuordnen: Wo in der Villa Maria die Fruchtbarkeit, respektive die Pracht der Flora und Fauna im Zentrum stehen, werden in der Villa Dem Schönen die verschiedenen Facetten der Liebe zelebriert.

Dossier 6
Isabel Haupt
«Freude am eigenen Heim»
Die dekorative Ausgestaltung Aargauer Unternehmervillen um 1900

Zusammenfassung
Die Unternehmervilla ist ein Experimentierfeld bürgerlicher Selbstrepräsentation. Besonders deutlich wird dies bei der dekorativen Ausgestaltung der Halle, die um 1900 oftmals das Herzstück des Hauses bildet. Das stilistische Spektrum, die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Materialien und unterschiedliche entwerferische Grundhaltungen zeigen beispielhaft zwei Aargauer Villen: Die 1899 in Meisterschwanden für einen Strohgeflechtefabrikanten erbaute Villa Fischer-Weber zeichnet sich durch ihre reiche Dekoration mit Stuck und das Glasfenster von Albert Lüthi aus. Bei der 1905 für den Finanzdirektor von BBC fertig gestellten Villa Baumann in Baden verwirklichten die Architekten Curjel & Moser die künstlerische Einheit von Raum und Mobiliar.

Dossier 7
Simona Martinoli
«Vogliamo anche che la nostra casa sia bella»
Architettura residenziale art déco a Lugano
 
Zusammenfassung
Art-déco-Architektur in Lugano
In der Zwischenkriegszeit mit einem Höhepunkt um 1930 findet auch im Tessin eine kurze Blütezeit des Art déco statt mit Bauten, die von einem wiederauflebenden Klassizismus durchdrungen und im kulturellen Klima des Mailänder Novecento verankert sind, bis hin zu einzelnen architektonischen oder dekorativen Elementen, die – speziell in Intérieurs – die vernunftgeprägte Grundstimmung dieser Gebäude «auflockern». Der Schwerpunkt des vorliegenden Beitrags liegt auf Beispielen aus der Stadt Lugano. Ohne sich in radikalen Experimenten zu verlieren und im Wunsch, den eigenen Repräsentations- und Innovationsanspruch zu befriedigen, öffnen sich Gewerbetreibende, Unternehmer und Selbständigerwerbende diesem weltoffenen Stil, der sich zur Hauptsache in Wohnbauten äussert.

Dossier 8
Stefanie Wettstein und Lino Sibillano
Das Ornament als Mitbewohner
Veredelnd, verspielt, verrückt – aktuelle Positionen zum Einsatz von Ornamenten im Wohnraum

Zusammenfassung
Nach intensiven und polemisch geführten Debatten ist man heute dem Ornament gegenüber wieder entspannter eingestellt und seit einigen Jahren sind ornamentale Eingriffe auch im Wohnraum wieder salonfähig geworden. Dieser Trend scheint mit dem Wunsch nach mehr Wohnlichkeit und dem Bedürfnis, Raumatmosphären zu differenzieren einherzugehen, was sich in einer allgemeinen Rückkehr der Farbe im Wohnraum widerspiegelt. Dass Ornamente im Raum eine lebendige Präsenz entfalten, zeigen vier aktuelle Beispiele mit unterschiedlichen gestalterischen Ansätzen und unterschiedlichen Techniken von Künstlerinnen und Farbgestaltern. Die Arbeiten zeigen, dass ornamentale Gestaltungen berühren und den Betrachter selten kalt lassen, sie fordern uns heraus und regen zum Nachdenken an. Sie sind aber auch Beweis dafür, dass heute individuelle ornamentale Innenraumgestaltungen auch im unspektakulären privaten Wohnraum bereichernd eingesetzt werden können.

KdS | MAH | MAS
Die Redaktionskommission
Im Dienste der Gesamtreihe der Kunstdenkmäler der Schweiz

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Billet de la direction
Unsere natürliche und kulturelle Umwelt erneut in Gefahr
Interview KdS | Interview MAH | Intervista MAS
«Die Kunstdenkmäler der Schweiz» – prominent
Dr. Christoph E. Hänggi
Michael Stettler (1913-2003)
Zum Gedenken an seinen 100. Geburtstag an Neujahr 2013
Hermann v. Fischer erinnert sich an die langjährige Zusammenarbeit und Freundschaft.

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Preis: CHF 20.00
Preis für GSK Mitglieder: CHF 15.00
Abbildungen: 115
Seitenzahl: 88
Reihe: Kunst + Architektur
Orte / Gemeinden: Schweiz / Suisse / Svizzera
Autoren: Diverse
Artikelnummer: K+A-2013.1
Inhaltssprache: Deutsch, Französisch, Englisch
Erscheinungsdatum: 4.2013
ISBN: 978-3-03797-095-9
Verlag: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte