(01.10.2013 - 01.10.2013)
Eine bekannte Karikatur von Gérard Hoffnung zeigt Strawinsky am Dirigentenpult, die rechte Hand in die Hüfte gestemmt, mit der linken Hand ein Metronom emporhaltend, den Blick gelangweilt auf die Partitur gerichtet. Die Bildunterschrift lautet: „Preciso“. Tatsächlich stellte sich der Komponist die Darbietung seiner Musik etwa auf diese Weise vor. Was in den Noten stehe, habe bloß „ausgeführt“, nicht aber durch den Dirigenten und die Musiker „interpretiert“ zu werden: „exécution“ statt „interprétation“. Hierin spiegelte sich nicht zuletzt eine auf „Sachlichkeit“ und „Objektivität“ zielende Ästhetik, die in den 1920er Jahren Konjunktur hatte und wesentlich mit den neoklassizistischen Tendenzen dieser Zeit assoziiert werden kann.
Mit Strawinskys Le Sacre du printemps, dem wilden, archaischen Skandalballett von 1913, scheint sich solche Auffassung kaum in Verbindung bringen zu lassen. Und doch hat Strawinsky gefordert, dass auch der Sacre so dirigiert werden müsse: objektiv „ausgeführt“, nicht subjektiv „interpretiert“. Die Frage ist, ob sich der Komponist bei seinen eigenen Tonaufnahmen des Werkes zwischen 1929 und 1960 an die selbst formulierten Maximen gehalten hat, erst recht, ob andere Dirigenten ihm gefolgt sind bzw. heute noch folgen – oder ob der Sacre nicht letztendlich doch, zumindest teilweise, von der Ästhetik des 19. Jahrhunderts zehrt und eine entsprechend „romantisierte“ Darstellung nahelegt. Der Vortrag wird diesen Aspekten anhand zahlreicher Tonbeispiele nachgehen.
18.15 Uhr, Hörsaal 002, Hallerstr. 12, 3012 Bern